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Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stellte sich eine zentrale Frage: Wie könnte die Beziehung von Jüdinnen und Juden zu Deutschland gestaltet sein, nachdem bei der nationalsozialistischen ‚Endlösung‘ sechs der neun Millionen europäischen Jüdinnen und Juden ermordet worden waren, ganz zu schweigen von unzähligen anderen Menschen?
Für manche lag die durchaus verständliche Antwort auf der Hand: Es darf keine geben. Für sie war angesichts des Schreckens, den die jüdische Bevölkerung hatte durchleben müssen, keinerlei Umgang mit Nachkriegsdeutschland vorstellbar. Jeglicher Kontakt mit Deutschland sollte gemieden werden und das Land für alle Ewigkeit im Dunkel der Vergangenheit verschwinden. Für die damalige Führung des American Jewish Committee (AJC) fiel die Antwort jedoch gänzlich anders aus. Das lag allerdings nicht daran, dass sie nicht auch über die Ereignisse der vorangegangenen 12 Jahre entsetzt gewesen wäre; natürlich waren diese 12 Jahre auch für das AJC eine Zeit des Schreckens.
Aber die Organisation hatte etwas verstanden, das sie zu einer anderen Schlussfolgerung kommen ließ. Im Nachhinein betrachtet, eine wahrlich mutige und sogar brillante Einsicht.
Es war gerade die deutsche Verantwortung für den Holocaust, die einen Umgang mit dem Land erforderlich machte. Das Land spielte eine zu zentrale Rolle – mitten in Europa gelegen und der Schalthebel eines mörderischen Krieges nach dem anderen –, als dass es hätte ignoriert oder vernachlässigt werden dürfen, wie groß die Versuchung auch war. Vorwort Die Geschichte, die hier nacherzählt wird, ist einzigartig – und fesselnd. Und so setzte sich das AJC ein ambitioniertes, gar kühnes Ziel: zu versuchen, die Entwicklung Nachkriegsdeutschlands mit zu beeinflussen, im Bestreben, die Entstehung eines friedlichen und demokratischen Landes zu befördern, das die schmerzhaften Lektionen seiner Geschichte gelernt und eine völlig neue und hoffnungsvollere Zukunft vor sich haben sollte. Das war weder ein schnelles noch ein einfaches Unterfangen. Denn für ein solches Vorgehen gab es keine Blaupause. Dergleichen war nie zuvor – und auch nicht annähernd – versucht worden. Zudem waren auch keineswegs alle Deutschen in jedem Fall daran interessiert, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, Antisemitismus abzulehnen und eine neue Perspektive aufs Leben einzunehmen.
Meine Hochachtung für die Führung des AJC in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende kennt wahrlich keine Grenzen. Trotz der Skepsis vieler anderer Jüdinnen und Juden, verfolgte sie hartnäckig ihr Ziel, entschlossen etwas zu bewirken und dabei zu helfen, ein neues Kapitel deutscher und jüdischer Geschichte zu schreiben. Und, was umso verwunderlicher ist, es gelang ihr in einer Weise, die sogar die kühnsten Träume übertraf.
In den letzten 70 Jahren hat sich Deutschland zu einer Nation weiterentwickelt, die sich vor dem Hintergrund seiner Geschichte dem Schutz der Menschenwürde verschrieben hat, Gründungsmitglied der Europäischen Union, NATO-Bündnispartner, ein Zuhause für eine wachsende jüdische Gemeinschaft und ein strategischer Partner Israels geworden ist. Wer verstehen möchte, was das AJC so besonders macht, worauf unsere Arbeit gründet, welche Ansätze wir verfolgen und wie die Früchte unserer Arbeit aussehen, findet alle Antworten in dieser Broschüre – in beeindrückender Detailfreude, mit umfassendem Kontext und vielen Beispielen.
Ich möchte der Autorin des Textes, meiner geschätzten Kollegin Deidre Berger, meinen Dank ausdrücken, die – ungeachtet der ihr eigenen Bescheidenheit – in den letzten zwei Jahrzehnten eine der wichtigsten Stützen unserer erfolgreichen Bemühungen in Deutschland an der Spitze des Teams des AJC Berlin gewesen ist. Als frühere Korrespondentin des National Public Radio (NPR) in Deutschland kennt sie das Land in und auswendig. Sie hat eine besondere Leidenschaft für die deutsch-jüdischen Beziehungen und verfügt über die fundierten Kommunikationsfähigkeiten einer Journalistin. Das alles ist diesem Text deutlich anzumerken.
David Harris
CEO, American Jewish Commitee