David Harris
/ AJC Berlin in der Presse

Darum ist Deutschlands Iran-Politik gefährlich

Der Beitrag erschien zuerst bei BILD

Wie wird die neue Bundesregierung sich gegenüber Israel verhalten? Sollte das Auswärtige Amt den Repräsentanten eines judenhassenden Regimes empfangen? Und wie gefährlich ist der Antisemitismus auf „Querdenker“-Demonstrationen?

Darüber sprach BILD mit David Harris (72), dem geschäftsführenden Direktor des American Jewish Committee (AJC).

BILD: Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung mit Blick auf die Sicherheit Israels?

David Harris: „Seit Bundeskanzler Konrad Adenauer hat Deutschland lobenswerterweise seine besondere Verpflichtung gegenüber dem Staat Israel verstanden, dem einzigen Staat der Erde mit einer jüdischen Mehrheit. In der Amtszeit von Angela Merkel wurde dies – und das ist ihr Verdienst – zu einer Angelegenheit der deutschen Staatsräson. Es ist unsere Hoffnung und Erwartung, dass die neue deutsche Regierung diese einzigartige Beziehung bekräftigen und Deutschlands unumstößliches Engagement für Israels Sicherheit und seinen gleichberechtigten Platz in der Gemeinschaft der Nationen nochmals bestärken wird.“

Am 9. November wurde in Deutschland der Opfer der Novemberpogrome gedacht, am Tag darauf empfing das Auswärtige Amt den stellvertretenden iranischen Außenminister in Berlin. Wie bewerten Sie diesen Besuch?

Harris: „Einige Dinge sind inzwischen überdeutlich – oder das sollten sie zumindest sein. Der Iran ist ein Aggressor-Staat, dessen destabilisierende Tentakel sich über den gesamten Nahen Osten – und darüber hinaus, einschließlich Europas – ausbreiten. Er verletzt ständig die Menschenrechte, vor allem von politischen Dissidenten, Frauen, religiösen Minderheiten und der LGBT-Gemeinschaft.

Und es ist eine unzuverlässige Nation, deren Versprechen und Zusagen, ob im Nuklearbereich oder anderswo, bedeutungslos sind. Deutsche Amtsträger sollten sich niemals von Wunschdenken, Naivität oder von Handelsbeziehungen um jeden Preis leiten lassen.

Besonders bemerkenswert ist, dass das deutsche Außenministerium nur einen Tag, nachdem wir der Pogrome vom November 1938 gedacht und die Aussagen ,Nie wieder' gehört haben, den Vertreter eines Staates empfängt, der eine Welt ohne Israel fordert und seit Jahrzehnten aktiv an diesem Ziel arbeitet.“

Auch in Brüssel gibt es immer wieder erstaunliche Entscheidungen: Das EU-Parlament hat gerade beschlossen, weitere Millionen an das Palästinenser-Hilfswerk UNRWA zu überweisen, obwohl dieses mit antisemitischen Schulbüchern arbeitet.

Harris: „Das Problem des UNRWA ist noch größer und besorgniserregender. In den letzten 70 Jahren hat diese aufgeblähte Bürokratie die Palästinenser anders behandelt als jede andere Bevölkerung der Welt. Es hat keinerlei Mandat, Palästinenser umzusiedeln, ganz im Gegensatz zum UN-Flüchtlingskommissariat. Und es hat die weitestreichende Definition des Wortes ‚Flüchtling‘ überhaupt, die es den Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge zeitlich unbegrenzt erlaubt, selbst den Status eines Flüchtlings anzunehmen. Wenn man dann noch das hinzunimmt, was in den UNRWA-Schulen allzu oft über den ‚bösen Charakter‘ Israels und der Juden gelehrt wird, wird das Problem nur noch größer und noch drängender.“

Auf den Demonstrationen sogenannter „Querdenker“ kommt es immer wieder zu antisemitischen Vorfällen. Haben Sie den Eindruck, dass die deutschen Behörden hier ausreichend sensibilisiert sind?

Harris: „Seit dem Ausbruch der COVID-Pandemie haben sich aus meiner Sicht als Jude zwei besonders beunruhigende Entwicklungen ergeben. Erstens wurde eine neue Ära von Verschwörungstheorien eingeläutet, die versuchen, Juden diese globale Krise anzukreiden. Unterstützt durch die sozialen Medien und aufgrund des ‚Bedürfnisses‘ nach leichten Zielen, verbreiteten sich diese haarsträubenden Behauptungen in der ganzen Welt.

Und zweitens griffen viele, die gegen Coronaimpfungen und -maßnahmen protestierten, auf Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg zurück – sie trugen den „gelben Stern“ und unterstellten den Behörden Gestapo-Methoden. Diese wirren Aktionen verzerren und verharmlosen die Bedeutung des Krieges und des Holocausts, ein Phänomen, das wir immer häufiger beobachten.“

Diese Relativierung und Instrumentalisierung des Holocaust ist zunehmend auch an deutschen Universitäten zu beobachten, vornehmlich von Aktivisten aus dem BDS-Umfeld. Bereitet Ihnen dies Sorge?

Harris: „Ja. Der Holocaust war ein einzigartiges Ereignis in der Menschheitsgeschichte. Eine Nation, Deutschland, machte sich zusammen mit seinen willigen Kollaborateuren daran, ein ganzes Volk auszurotten, und entwickelte die dazu notwendigen industrialisierten Mechanismen, einschließlich eines neuen Alphabets des Völkermords – von „A“ für Auschwitz bis „Z“ für Zyklon-B. Dem Naziregime ist es fast gelungen. Es hat zwei Drittel des europäischen Judentums und die meisten Fundamente jüdischer Zivilisation vernichtet.

Der Versuch, den Holocaust zu relativieren – oder sich seine Sprache und Symbole anzueignen – ist ein durchsichtiger Versuch, sein Ausmaß zu minimieren. Und es will ablenken von der Besonderheit dieses schrecklichen Verbrechens gegen das jüdische Volk, darunter viele Mitglieder meiner eigenen Familie.“