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Gemeinsam mit Islamismus ist Rechtsextremismus hierzulande zweifellos die größte Gefahr für die Demokratie. Der antisemitische Terroranschlag in Halle, der rassistische Massenmord in Hanau sowie der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke haben dies in jüngerer Vergangenheit schmerzlich in Erinnerung gerufen. Bedauerlicherweise ist diese Gefahr zu lange unterschätzt worden, trotz der rund 200 rechtsextremistischen Morde seit der Wiedervereinigung und der fast täglichen neonazistischen Gewalt. Und nicht zuletzt die Selbstaufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) hat gezeigt, dass die Schwelle zum Rechtsterrorismus längst überschritten wurde.
Mit Blick auf diese Unterschätzung ist es besonders frappierend, dass eine der personenstärksten rechtsradikalen Strömungen, die türkischen Grauen Wölfe, bis heute bestenfalls Expertinnen und Experten etwas sagt. Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass etwa 18.000 Personen dieser Bewegung zuzurechnen sind. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Auch wenn es immer wieder Anstrengungen gab, diese Gefahr ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, hat bis heute keine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung über diese Form des Rechtsradikalismus stattgefunden. Dies ist umso erstaunlicher, als dass die Grauen Wölfe ideologisch anderen rechtsradikalen Organisationen in nichts nachstehen. So zeichnet sich die Ideologie der Grauen Wölfe durch Antisemitismus, Rassismus und Hass auf Minderheiten aus. Die Mord- und Gewalttaten, die auf das Konto der Grauen Wölfe gehen, in der Türkei aber auch hierzulande, lassen ebenso keinerlei Zweifel daran, welche Gefahr die Anhängerinnen und Anhänger für Jüdinnen und Juden und die Mitglieder der kurdischen, der alevitischen und anderer Communitys darstellen.
Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es einerseits, einen knappen aber dennoch fundierten Überblick über die Geschichte, Ideologie und Struktur der Grauen Wölfe zu liefern und damit eine breitere gesellschaftliche Debatte anzustoßen.
Andererseits soll diese Untersuchung dazu dienen, zu unterstreichen, dass der Staat und die Sicherheitsbehörden hier dringend handeln müssen. Denn trotz der offensichtlichen Gefahr sind größere Repressionsmaßnahmen gegen die Grauen Wölfe bis heute bedauerlicherweise weitgehend ausgeblieben.
Dabei müssen vor allem gegen die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e. V. (ATIB) und die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V. (ADÜTDF/Türk Federasyon) und den Verband der türkischen Kulturvereine in Europa (ATB) sowie die damit verbundenen Strukturen dringend Vereinsverbote geprüft und gegebenenfalls umgesetzt werden. Auch nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden sind diese die maßgeblichen Organisationen der Grauen Wölfe in der Bundesrepublik.
Neben diesen repressiven Elementen ist es aber ebenso dringend notwendig, deutlich mehr Ressourcen in Präventionsmaßnahmen zu investieren. Zum jetzigen Zeitpunkt (April 2021) gibt es bundesweit höchstens eine Handvoll Projekte, die sich mit dieser spezifischen Form des Rechtsradikalismus beschäftigen. Der Bund und die Länder sollten hier entsprechend aktiver werden.
Bundespolitisch muss aber auch eine grundsätzliche Debatte darüber begonnen werden, wie die seit Jahren steigende Einflussnahme der türkischen Regierung hierzulande beendet oder zumindest eingegrenzt werden kann. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass das Regime von Recep Tayyip Erdoğan, das sich innenpolitisch immer weiter radikalisiert und systematisch die Demokratie in der Türkei zerstört, nahezu problemlos hier lebende Personen, ob Staatsbürgerinnen und -bürger oder nicht, beeinflusst und für seine Ziele zu instrumentalisieren versucht. Diese Aktivitäten sollten ferner in eine grundsätzlich robustere Außenpolitik gegenüber dem Regime in Ankara eingebettet sein. Dies ist umso dringender, da die Grauen Wölfe über die MHP in der Türkei an der Regierung beteiligt sind.
Unser großer Dank gilt an dieser Stelle Prof. Dr. Kemal Bozay, ohne Zweifel einer der führenden Experten auf diesem Gebiet, der die vorliegende Untersuchung im Auftrag des AJC Berlin erstellt hat.
Dr. Remko Leemhuis, Direktor des AJC Berlin